Büsli-Läbe

Jamira, 23.9.2004

Aufwachen auf dem Salar de Uyuni

Seit 2½ Monaten führen wir nun ein Luxusleben mit unserem edlen Piolino. Am Morgen, wenn uns die Sonne, Hundebellen oder Autohupen wecken, wird gewöhnlich einmal kurz mit den Augen geblinzelt und dann gleich nochmal etwas geschlummert. So nach einer halben Stunde schleicht sich dann Mark in Benitas Arm, und nach ausgiebigem Gutenmorgen-Kuscheln können die Beiden langsam über den Tag philosophieren. Häufigste Resultate der Diskussionen sind „Schauen wir mal“ und „Erstmal einen Kaffee brauen“. Da das Frühstück etwas vom Wichtigsten des Tages ist, lassen wir uns so richtig viel Zeit dafür. Meistens gibt es ein gesundes Müsli mit frischen Früchten vom Markt. Das eher langweilige und geschmackfreie Brot versuchen wir mit viel Honig oder Marmelade zu verbessern. Benita erwähnt dann immer ganz nebenbei, wie gut doch ein St. Galler aus der Migros schmeckt. Seufz!

Je nach Lust und Laune werden nach diesem empfehlenswerten Morgenritual Sehenswürdigkeiten angeschaut, ein Hügel bestiegen oder ganz einfach nur relaxed. So vertieft sich Benita z.B. mit 30 Jahren (schade, das die Menschen altern) das erste Mal in die Geschichte von Momo oder beginnt sogar zu malen. Mark hingegen übt sich im Jonglieren oder spielt mal wieder auf dem Compi. Natürlich halten wir das Faulenzen meistens nicht länger als zwei Tage aus. Dann sind wir wieder empfänglich für weitere Abenteuer und wollen erneut die Welt entdecken. Ein Funken genügt und schon sind wir wieder auf den Strassen von Südamerika unterwegs.

Diese Strassen variieren zwischen geteerten Patch-Work-Mustern und halsbrecherischen Schotterpisten. Im August waren wir ca. 2 Wochen nicht schneller als mit 10-20 km/h unterwegs. Mit der Zeit gewöhnt man sich sogar dadran, und wenn man ganz locker und entspannt über die Steine holpert, ist das die beste Gesichtsmassage der Welt. Ausserdem darf Mark, wie ein kleines Kind auf seinem ersten grossen Spielzeugbagger, den ganzen Tag lang herummanövrieren. Mit dem Auto von Loch zu Loch, dazwischen Sand und Dreck, ein heimlicher Männertraum. Wenn er sich dann noch unter Piolino legen darf, weil sich etwas nicht mehr so gut anhört, leuchten beim Wiederauftauchen zwei blaue Augen aus dem erbarmungslos staubigen Gesicht.

Wieso Strasse?

Endlich wieder eine Panne...

... und danach

Die bis jetzt grösste Herausforderung war die verhexte Schraube, die sich einfach so im Niergendwo von uns verabschiedete. Mark meinte darauf, dass irgendwas nicht stimmen könne, und demonstrierte Benita mehrere Kreisbewegungen mit dem Schalthebel, ohne auch nur mit dem Fus in die Nähe der Kupplung zu kommen. War es nun schon wieder vorbei mit Piolinos Glücksstähne? Ein wenig gebrannt von unseren ersten Erfahrungen mit Casimir, durchlief uns alle ein kalter Schauer. Hier mitten in der Knüste war nun wirklich nicht viel zu machen. Der Wind zog durch die Türen rein, es war eisig kalt und kein anderes Fahrzeug weit und breit. Das nächste Dorf war mehr als 10 Stunden entfernt! Plötzlich entdeckte Mark am Horizont einen Menschen. Leider sprach die Person nur Quechua (die Sprache der Bolivianischen Indigenas) und sie verstand beim besten Willen nicht, was dieser Gringo überhaupt wollte. Mit ein bisschen mehr Erfolg hatte Benita in der Zwischenzeit einen LKW angehalten, der uns am Abend in eine kleine Arbeitersiedlung schleppte. Der Chef war extrem freundlich, konnte uns aber leider keinen LKW bis zum nächsten Mechaniker leihen, weil der ganze Dieselvorrat aufgebraucht war. Wir versuchten die ganze Nacht über bei bitterkalten -20 Grad die vorbeifahrenden Autos anzuhalten (insgesamt 6!) und sie irgendwie dazu zu bringen, uns weitere 10 Stunden abzuschleppen. Aber wer will das schon? So geschah es, dass wir im Morgendämmern immer noch an dem gleichen Ort standen. Als ich Benitas und Marks verzweifelte Gesichter sah, weckte ich den dösenden Earl Grey und meinte, dass es nun an der Zeit sei, den Beiden zu helfen. Es war Sonntag, der Chef der Siedlung war ausserhalb und die Arbeiter hatten nichts zu tun. Da kamen wir mit unserer Bitte, ob sie nicht mal nach Piolino schauen könnten, gerade recht. Benita und Mark staunten nicht schlecht, als plötzlich sämtliche Beine unter Piolino hervorschauten, eine Art Tausendfüssler. Kurz darauf erklärte ein Muchacho strahlend, dass nur eine Schraube fehle und sonst nichts. Das konnten wir natürlich kaum glauben. Kurzerhand drehten sie eine neue Schraube zwischen Kupplung und Getriebe hinein und demonstrierten uns eine (fast) perfekte Gangschaltung. Unter stolzem Gejole der ganzen Siedlung düsten wir bald darauf Richtung nächsten Mechaniker. Die Moral von der Geschichte: Benita und Mark lesen heute ein Buch über Automechanik, und sie werden in Zukunft auf Schotterstrassen bei einer Panne immer nach verloren gegangenen Teilen suchen.

Wo ist hier der nächste Mechaniker?

Mit einem eigenen Bus zu reisen birgt nicht nur Spannung in sich, es ist auch Feiheit pur. Ihr müsst Euch vorstellen, dass die schönsten Bilderbuchlandschaften an Euch vorbeiziehen. Dann plötzlich ein Ort, ein Früchtemarkt oder eine Llama-Herde, und 5 Sekunden später steht ihr mittendrin. So sind wir fast verrückt geworden, als wir einmal mit dem öffentlichen Bus entlang des Titikaka-Sees fuhren und wir kein einziges Mal anhalten konnten. Dank Piolino bekommen wir auch viel mehr Kontakt zu den Einheimischen, da wir oft an Stellen rasten, wo sonst kein Tourist aussteigt. Die Leute sind deshalb auch nicht nur an unserem Geld interessiert, wie das leider so oft an anderen Orten der Fall ist. Es entstehen manchmal unglaublich schöne Gespräche. Gerade vor wenigen Minuten musste eine Indigina bei uns eine kurze Pause einlegen, weil ihr Ferkel, das sie im letzten Dorf gekauft hatte, keinen Schritt weiter gehen wollte.

Pausenbekanntschaften

Natürlich hat das “Büslireisen“ auch seine Nachteile. Man muss sich zum Beispiel immer um einen Parkplatz kümmern, was vor allem in den grossen Städten nervig sein kann. Auch ein Ausruhen beim Fahren ist tabu. Im Gegenteil, mit den vielen Tieren, Leuten und Löchern auf der Strasse ist sogar doppelte Vorsicht geboten. Am meisten aber ärgern wir uns über die polizeiliche Korruption. Alle 50 km hat es einen Kontrollposten, und neben den Papieren fragen sie auch häufig nach einem „kleinen Beitrag für das Personal“. Das ist ja noch herzig, aber leider ist es uns auch schon passiert, dass wir von einem Polizisten richtig abgezockt worden sind. Er hielt uns wegen einer Lapalie an und drohte mit einer unglaublichen Busse. Nach ein paar Minuten bot er uns an, dass wir die Sache auch „inoffiziell“ um die nächste Ecke regeln könnten, und mit 60 Soles in bar war das Ganze erledigt. Wir nagten sicher noch zwei, drei Tage dadran, überlegten uns Strategien, wie wir das nächste Mal vorgehen wollen, und finden es immer noch eine absolute Frechheit. Blödes Schnittlauch!

Ihr seht, das Leben im Bus hat seine guten und schlechten Seiten. Egal ob Sightseeing, Wandern oder Faulenzen, am Abend sind wir immer totmüde. Nach einem romantischen Abendessen im Freiem geht es dann „auf die Türen“. Bei Kerzenlicht, geschlossenen Vorhängen und Wolldecken bis zum Kinn gibt es ab und zu noch Popkorn und Privatkino. Dankbar und glücklich rücken Benita und Mark nah aneinander. Piolino schlummert zufrieden mitten in der Natur. Kann es sein, dass ein Traum langsam in Erfüllung geht? Aber was wird dann aus der Aufgabe von Earl Grey und mir? Ist dies das Ende unserer Zeit mit Mark und Benita? Ich möchte die zwei nicht verlassen, nicht jetzt, wo es sooooooo schön ist...

Eure Jamira